Synthese
Eine erste Synthese der Tagung vom 8. April 2011 in Metz
Vincent Goulet
Diese erste Tagung des Programms „Infotransfront“ hat einen Überblick über den Stand der Forschung zu den Bedingungen des grenzüberschreitenden Austauschs von Informationen in der Großregion und in Europa geliefert. Aus den verschiedenen Vorträgen haben sich darüber hinaus Untersuchungsfelder sowie theoretische und methodologische Ansätze ergeben. Ich möchte mich bei den Teilnehmern für die Qualität ihrer Vorträge bedanken.
1. Umriss des Themas
Mehrere Vorträge dienten zur Darstellung der Großregion unter dem Blickwinkel des Austauschs (oder des „Nicht-Austauschs“) von Informationen.
Die Großregion erscheint als ein besonders zersplitterter Raum.
Zunächst bestehen Sprachbarrieren, unterschiedliche staatliche Systeme (auf der Ebene des Rechts, des Sozialnetzes, so dass für das Alltagsleben ein bestimmter Staat für uns zuständig ist: keine physische Grenze seit Schengen, aber die „verwaltungstechnische Grenze“ bleibt stark)
- Fortbestehen von Mentalitätsgrenzen, unterschiedlichen Kulturkreisen
Gleichzeitig aber auch ein historisch gesehen komplexer Raum für grenzüberschreitende Zusammenarbeit (E. Auburtin),
Eine Raumordnung nach dem Muster des Netzes, der komplementären Vernetzung (Ordnungspolitik und „Win-Win Logik“ zwischen den Organisationsbehörden) und keine flächenbezogene Raumordnungspolitik mit Wiederverteilung durch die Steuern. (C. Lamour)
- So gut wie kein „Territorialisierungseffekt“ und keine Bildung einer grenzüberschreitenden Identität. (C. Wille, P. Zur Nieden)
Strukturelle, wirtschaftliche und politische Gründe:
Starker Strom von erwerbstätigen Grenzgängern (Die Großregion stellt ¼ der Grenzgänger der EU dar.)
Der Umlaufstrom (Arbeit, Konsum) stammt aus einer fehlenden Balance, einer Asymmetrie zwischen den verschieden Teilregionen (Luxemburg).
Diese Asymmetrie, diese „Differentiale“, die die Bewegungsrichtungen bestimmen, führen aber gleichzeitig zu neuen Segmentierungen, ohne dass sie unbedingt die Menschen zusammenbringen:
Neue Grenzziehung zwischen städtischer Wohnzone und menschenleer gewordenen ländlichen Gebieten, Empfinden des Arbeitsorts für die Grenzgänger als ein „Dort“, das nicht ihrem eigenen Raum entspricht (Verwurzelung am Wohnort). Fortbestehen der Stereotype über den „Anderen“.
Rolle des im Mittelpunkt des Funktionskerns der Großregion stehenden Großherzogtums Luxemburg und Politik einer Ausweitung seiner Einflusszone, ohne die entsprechenden sozialen Kosten dafür zu tragen.
Besondere Eigenschaften des luxemburgischen Staats und der Stadt Luxemburg: Multikulturalität, Weltbürgertum, Mehrsprachigkeit, hoher Lebensstandard (und hohe Mietpreise), dienstleistungsorientierte Wirtschaft, Angestelltenstellen mit intellektuellem Anspruch, Verteidigung des Luxemburgischen als staatliche Sprache und Kultur.
Städte und Regionen stehen in „Koopetition“ zueinander (und zwar: in Beziehungsverhältnissen, in denen Kooperationen – wenn ein gemeinsames Interesse auftaucht – und „Competition“ (= Konkurrenz) – wenn „auf einer Seite“ eine Maximierung der potentiellen Ressourcen zuungunsten der anderen angestrebt wird – koexistieren, um den Raum zu bestimmen und zu ordnen. Strenge institutionelle Logik in der Herausbildung des Gemeinsamen in der Großregion (D. Buzy, C. Lamour) mit all ihren logischen Folgen (Top-Down, Ordnungspolitik, Konsens, Diskurse der Nebendiplomatie, strategische Unbeweglichkeit).
Einfluss auch von finanziellen Impulsen und europäischen politischen Richtlinien. (InterReg)
Weitere Fragmentierungstypen (die nicht nur auf die Großregion zutreffen) wie Alter, Generation, soziale Klasse und Stellung im Produktionsapparat, städtisch/ländlich – die ebenso eine erhebliche Rolle spielen.
2. Um welche Art von grenzüberschreitenden Informationsströmen geht es?
Mehrere Vorträge haben die medial vermittelten Informationsströme im Raum der Großregion dargestellt.
Das Interesse des Publikums beruht hauptsächlich auf seinen Daseinsgrundfunktionen. Es folgt weitgehend dem Muster der differenzierten strukturierenden Logikarten in der Großregion. Von daher besteht eine starke Segmentierung bzw. Fragmentierung des Publikums, das darüber hinaus eine ebenso zerstückelte Sicht des Raums in der Großregion. (P. Wiermer: die Wahrnehmung der Großregion als Anhäufung von mehr oder weniger miteinander vernetzten Orten).
Relativ geringes Interesse für das, was auf der anderen Seite der Staatsgrenzen geschieht Ausnahme: wenn strukturelle Gründe dafür sprechen (P. Zur Nieden, P. Wiermer, C. Wille).
Die Medien „folgen“ den praktischen Anwendungen des Raums und bestimmen sie so gut wie gar nicht.
Darüber hinaus richten sich die Produktionsbedingungen von Informationen bei der Redaktion der grenzüberschreitenden Medien nicht nach dem grenzüberschreitenden Austausch.
Sprach- und Übersetzungsfragen (M. Prinzing & R. Blum, J. Palmer), Redaktionsmittel/ Redaktionsverhältnisse (keine Korrespondenten, die Redakteure müssen selbst zur anderen Seite der Staatsgrenzen hinfahren), schlechte Verbreitung (vor Ort) der Zeitungen (Badische Zeitung in Frankfurt und Paris verteilt, bevor sie in Straßburg geliefert wird), fehlende „regionale Presseagentur“, die etwas Gemeinsames schaffen und die Redaktion mit einer treuen Übersetzung unterstützen könnten (J. Palmer).
Die Journalisten „stehen in der Defensive“ den regionalen Institutionen gegenüber, die sich eine intensivere Förderung der Großregion wünschen würden. (P. Zur Nieden).
3. Die Rolle der regionalen Institutionen
Prägung der institutionellen Strategie und der „Ordnungspolitik“ in dieser Konstruktion des medialen und öffentlichen Raums der Großregion.
Die regionalen Institutionen sind die vorherrschenden Akteure mit in Konkurrenz stehenden Interessen: Wucherung der Netze (wie Quattropole, Lela+)
Starke institutionelle Kommunikation durch Pressemitteilungen, Internetseiten (D. Buzy)
Gleichzeitig: schwache politsche/demokratische Dynamik, die auf der bürgerlichen Gesellschaft selbst beruht. Warum herrscht ein Mangel an öffentlichen Problemen? Welches sind die „Konfliktlinien“, die zu einen Abbau und einem Wiederaufbau der üblichen staatlichen oder kulturellen Spaltungen führen, um durch ein öffentliches Gespräch Gemeinsames zu schaffen? (S. Seidendorf)
Dennoch muss die Rolle der Zusammenschlüsse von erwerbstätigen Grenzgängern [betrachtet werden] (Vortrag von Ph. Hamman zum Volksabstimmung über den Lissabon-Vertrag 2005. Ihr Einfluss zeichnet sich auf der Karte der Wahlergebnisse ab.)
Schlussfolgerung
„Die Grenzen werden nicht verwischt“, sondern manche bestehen weiter, während andere neu gestaltet werden. (Die Grenzen sind immer neu zu definieren)
Dem verordnenden Diskurs über das Verschwinden der Grenzen sollte kein Glaube geschenkt werden. Sie sind nützlich, weil sie sowohl durch ihre Anerkennung als auch durch ihre Überschreitung zur Bildung einer Identität unter Individuen und Gruppen beitragen. (Ambivalenz der Beziehung zum Anderen – C. Wille).
Vielleicht ist es gerade die Asymmetrie, die die Grenzen und deren Dynamik schafft, vor allem im Hinblick auf die Ströme von Menschen und Informationen.
Die grenzüberschreitenden Gebiete wie die Großregion beruhen auf einer starken Dialektik, die näher untersucht werden muss.