Wissenschaftliches Fazit des Lehr- und Forschungsprogramms zum Workshop für Nachwuchswissenschaftler

„Theorie des journalistischen Felds und des grenzüberschreitenden Umlaufs der Informationen“

Das Beispiel der Medien in der “Großregion” (Saar-Lor-Lux)“


22. Februar 2012, Université de Lorraine -Metz

 

Redaktion des Fazits: Bénédicte Toullec, Vincent Goulet und Christoph Vatter

 

 

Ziel dieses ersten Workshops war eine Darstellung und Auseinandersetzung mit dem Thema „Gebrauch des Begriffs des journalistischen Felds“ in einem transnationalen Raum. Zuerst sind in Form von Vorträgen die wissenschaftlichen Aneignungen dieses Begriffs in Frankreich und Deutschland näher untersucht worden. Im Anschluss daran wurde der Fokus auf die Möglichkeit und Relevanz einer Anwendung dieses Begriffs auf grenzüberschreitende Medienuntersuchungsgegenstände gerichtet.

 

 

1. Eine differenzierte Herangehensweise

 


Nachdem die zwei Wissenschaftler (aus Frankreich : Julien Duval, CNRS/CRESS und aus Deutschland : Michael Meyen, Ludwig-Maximilians-Universität München) kurz die Literatur ihres Landes zum journalistischen Feld in Erinnerung gerufen haben, haben ihre eigene Verwendung des Begriffs näher erklärt, wobei sie sich beide auf die Nummern 101-102 der Actes de la Recherche en sciences sociales, die den Titel « Im Banne des Journalismus » tragen, berufen haben. Dabei haben sie unterstrichen, dass der Begriff des Felds überhaupt im Werk Bourdieus mit den weiteren Begriffen des habitus und capital zusammen auftaucht und deswegen mit letzteren verknüpft werden sollte. Als « wissenschaftliches Werkzeug » (Betrachtung eines sozialen Raums als Feld) muss dieser Begriff mit einem Forschungsobjekt und sorgfältig ausgewählten Forschungsansätzen in Verbindung gesetzt werden. So hat Julien Duval anhand einer Faktorenanalyse (ACM) seine Herangehensweise an das « Feld des Witschaftsjournalismus » ausgearbeitet. Diese Faktorenanalyse hat ihm dazu verholfen, eine Kartografie zu erstellen und eine Struktur des Raums mit Rückgriff auf verschiedene Gegensätze auszuarbeiten. Die Hauptschwierigkeiten bestehen darin, das untersuchte Objekt zu umreißen und die Variablen zu bestimmen, die berücksichtigt werden müssen, um multivariate Statistik betreiben zu können.

 

Michael Meyen stellt seinerseits fest, dass dieser Begriff im Bereich der Kommunikationswissenschaften in Deutschland auf wenig Echo gestoßen ist, selbst wenn fast sämtliche Werke Bourdieus übersetzt wurden. Die Begriffe Bourdieus wurden in Deutschland eher in weiteren Fächern wie in der Soziologie und in Literaturwissenschaften rezipiert.  Er zieht die deutschen Studien heran, die zu diesem Begriff im Bereich der Medienwissenschaften (Johannes Raabe,  Thomas Hanitzsch, Sabine Schäfer) veröffentlicht wurden und unterstreicht dabei die Schwierigkeiten, die entstanden sind, um diesen aufgrund der mit der Autonomie des journalistischen Felds verbundenen und somit mehr in Frankreich als in Deutschland ansprechbaren Zwänge schwer auf den deutschen Kontext übertragbaren Begriff zu verwenden. Der Gebrauch dieses Begriffs erscheint daher relevanter, um eine Typologie der Journalisten – die selber das Ergebnis der Selbstwahrnehmung der Journalisten ist (und eine Erkundung der Legitimität der Journalisten in diesem Feld ermöglicht) – aufzustellen. Diese Herangehensweise stützt sich auf die Analyse von 500 Leitfadeninterviews, die mit deutschen Journalisten geführt wurden. Es geht dabei um einen qualitativen Ansatz, der in einem solchen Umfang selten in Deutschland und in Frankeich zur Anwendung kam.

 

Die mit der Ausbildung der Journalisten und der Strukturierung der Medien in Frankreich und Deutschland zusammenhängenden objektspezifischen Elemente weisen zwar stark darauf hin, wie schwer die Übertragung eines solchen Begriffs auf ein anderes Land ist, aber ein weiterer Faktor beruht auf der Bedeutung, die man dem Journalismus als (in Deutschland wegen seiner oft als marxistisch angesehenen Methode relativ vernachlässigtem) Untersuchungsgegenstand beimisst. Es scheint jedoch wichtig zu sein, daran zu erinnern, dass die Analysen von Bourdieu in Deutschland – so ähnlich wie Luhmanns Analysen in Frankreich – keinen starken Widerhall gefunden haben.

 

Zum Schluss kann man sagen, dass die Zusammenführung beider Ansätze dazu beigetragen hat, den Feldbegriff mehr als Werkzeug zur Herangehensweise als zur Beweisführung zu betrachten. Julien Duval spricht sich insbesondere für einen « flexiblen Gebrauch » des Begriffs aus unter dem Vorbehalt, dass dieser Begriff mit einer genauen Konstruktionsarbeit des Gegenstandes einhergeht.

 

 

2. Der Begriff des Felds als Mittel, um die grenzüberschreitenden Medienuntersuchungsgegenstände zu hinterfragen ?

 


Gegenstand des zweiten Teils des Workshops, an dem Doktoranden und Nachwuchswissenschaftler aus Frankreich und Deutschland aktiv teilgenommen haben, indem sie entweder einen Vortrag gehalten oder Fragen gestellt haben, waren Studien zu grenzüberschreitenden Untersuchungsgegenständen. Dabei wurde das Bestehen von Einflussmechanismen, von über den « engen » nationalen Rahmen – in dem die untersuchten Medien einbezogen sind – hinausgehenden wirtschaftlichen, juristischen, politischen und linguistischen Spannungen unterstrichen. Die Darstellung dieser verschiedenen Fälle wurde zum Ausgangspunkt einer Diskussion über die Relevanz bzw. Anwendbarkeit des Begriffs « journalistisches Feld », wobei auf die bestehende oder nicht bestehende Homogenität der transnationalen Rahmen der Nachrichtenproduktion hingewiesen wurde.

 

So identifizieren und unterstreichen Vincent Goulet und Bénédicte Toullec (Wissenschaftler aus der Université de Lorraine/CREM) die Faktoren, die zur Anerkennung des Bestehens eines solchen Raums dienen, indem sie vorschlagen, den Begriff des journalistischen Felds auf die Großregion anzuwenden. Sie hinterfragen aber insofern die Legitimität des Anspruchs, von einem journalistischen Feld zu sprechen, als dieser Raum in der kulturellen Produktion fragmentiert ist und über eine Vielfalt von Vermittlern von Nachrichten verfügt.

 

Thilo von Pape und Michael Scharkow (Wissenschaftliche Mitarbeiter an der Universität Hohenheim) unterstreichen auch das Bestehen eines grenzüberschreitenden Kommunikationsraums (in Deutschland und Frankreich), der mit dem Gebrauch von Twitter verbunden ist. Ihr Studium über das Senden von Tweets bezieht sich auf Freizeitpraktiken an Orten, die sich auf beiden Seiten der Grenze befinden. Sie kommen zum Schluss, dass aufgrund der geringen Anzahl von Hauptakteuren, die grenzüberschreitende Praktiken fördern, das Bestehen eines solchen Raums relativisiert werden muss. Während die Rücktweet-Gewohnheiten auf der Ebene beider Länder bedeutend zu sein scheinen, sind sie auf grenzüberschreitender Ebene kaum zu spüren.

 

Aurélie Haismann (Doktorandin an den Universitäten Luxemburg und Bern) hinterfragt den grenzüberschreitenden Medienraum weiter, wobei sie die Identitätsstrategien, die französischsprachigen luxemburgischen Pressezeitschriften zugrundeliegt. Sie stellt eine Typologie dieser Zeitschriften auf, indem sie zwischen identitätsauflösend, interidentitär und überidentitär unterscheidet.

 

Darüber hinaus können diese identitären Spannungen durch den polyzentrischen und netzförmigen Charakter der Grossregion, der von Christian Lamour (Doktorand an der Université de Lorraine/CREM) beschrieben wurde, verstärkt werden. So erinnert er an den abgetrennten Charakter des europäischen Publikums. Christian Lamour verfolgt dann die Unterscheidung zwischen Limes (Grenzwall) und Grenze, was ihn dazu bringt, eine Typologie von Grenzen aufzustellen, die polarisierend, funktional und nicht hermetisch sind. Die Medien mit grenzüberschreitender Dimension legen mehrere Publikumsarten und verschiedene Praktiken an den Tag und müssen ihr Nachrichtenangebot hinterfragen.

 

Aline Hartemann (Doktorandin an der Schule EHESS/Paris und an der Humboldt-Universität/Berlin) schließt sich dieser Fragestellung an, indem sie die Beispiele der Sendung « Zoom Europa » und der Tagesschau, die auf Arte ausgestrahlt werden, heranzieht und anhand dieser Beispiele die Frage aufwirft, ob es den Nachrichtenproduzenten gelingt, ein Produkt zu erarbeiten, das tatsächlich grenzüberschreitend ist. Sie macht sich dann Jean-Michel Utards Arbeiten zu eigen und muss feststellen, dass die Organisation der Redaktion und die Auswahl der zu behandelnden Themen eher auf eine Nebeneinanderreihung als auf eine wirkliche Koproduktion hindeuten. Dies zeigt, wie die nationalen Rahmen die Oberhand über das ursprüngliche Projekt der Gründer des Senders Arte gewinnen.

 

Schließlich schließt Martin Baloge (Doktorand an der Universität Paris 1/CESSP) den Bogen dieser Reflexion, wobei er eine methodologische Reflexion anführt, die den möglichen Rückgriff auf den Begriff des Felds in zwei verschiedenen Ländern (Frankreich und Deutschland) heranzieht. Er weist auf die Unmöglichkeit hin, eine solche Studie durchzuführen, als da Unterschiede zwischen den verschiedenen nationalen Verwaltungseinrichtungen und den sozialen Verhältnissen zu groß seien. Darüber hinaus hebt er den Vorteil hervor, den der Umlauf von Informationen in verschiedenen grenzüberschreitenden Räumen sowie die qualitative Dimension solcher Studien haben können. Der Begriff des Felds kann jedoch bei der Durchführung von Recherchen dazu anregen, über bestimmte Spaltungen hinauszugehen und letztere zu überwinden.

 

 

Schlussfolgerung

 


Der Begriff des Felds ist insofern nützlich, als er eine wissenschaftliche Distanzierung von den untersuchten Gegenständen mit sich bringt und die bei der Konzeptualisierung helfen kann. Da dieser Begriff in Frankreich ausgearbeitet wurde, fällt einem die Übertragung dieses Begriffs in andere Kulturräume und nationale Räume oft schwer. Diese Übertragung setzt eine Wiederaneignung und eine Wiederformulierung voraus, deren erste Prämissen in Deutschland – zumindest im Bereich „Medien“ – zu spüren sind. Die reichen Gespräche, die anlässlich dieses Studientags geführt wurden, haben zwar zweifelsohne eine internationale Zirkulation gefördert, aber das Werkzeug des „journalistischen Felds“ erscheint zu diesem Zeitpunkt in grenzüberschreitenden Räumen wenig Anwendung finden zu können, weil die nationalen Produktionslogiken stark bleiben.

 

Um diese anlässlich dieses ersten Workshops zum Umlauf von Medieninformationen in einem transnationalen Raum wie in der Grossregion angeschnittene Reflexion fortzuführen, erscheinen zwei Untersuchungsfelder als vielversprechend: einerseits der Begriff des Felds könnte auf bestimmte (und transnationale) soziale Räume – die sämtliche Akteure des Aufbaus von grenzüberschreitenden Institutionen, Territorien oder Identitäten einbeziehen – angewandt werden. (Es geht dann darum, den Gebrauch des Begriffs auf den Raum der «  Gestalter an der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit » zu beschränken); andererseits erscheint es als notwendig, die Untersuchungen über die Faktoren, die die Produktion und Rezeption von Medien in einem grenzüberschreitenden Raum fördern oder verhindern, sowie über die immer noch wirkenden institutionellen, kulturellen und sprachlichen Barrieren und die Übergänge sowie Transferwege weiter zu führen.